Online-Coachings: Digitale Dienstleistung, Fernunterricht – und oft rechtlich angreifbar
Seit Jahren werden Online-Coachings zu allen möglichen Themen (z. B. Online-Business, digitales Marketing, Finanz-Investment, Selbstoptimierung, Ernährung usw.) über Social Media beworben und verkauft. Vor der Anmeldung zum Online-Coaching werden Sie in kostenlosen Orientierungsgesprächen mit großen Versprechen in die Irre geführt und zum Abschluss eines teuren Coaching-Vertrag überrumpelt. Nach dem Vertragsabschluss stellt sich das Online-Coaching oft nur als Sammlung substanzloser Weiterbildungsinhalte (Videos, Online-Module usw.) heraus. Nicht ohne Grund wollen viele Coaching-Teilnehmer ihre Anmeldung widerrufen und aus dem Vertrag aussteigen. Tatsächlich sind viele der Online-Coaching-Verträge nichtig und Teilnehmer:innen können ihr Geld zurückfordern!
Werbung für Online-Coachings ist auf Videosharing-Plattformen wie Youtube, TikTok usw. seit einigen Jahren sehr präsent („Beschwerden wegen kostspieliger Online-Coachings“). Online-Coachings werden zu allen möglichen Themen angeboten: Online-Business, digitales Marketing, Finanzinvestment, Immobilieninvestment, Persönlichkeitsentwicklung, Selbstoptimierung usw. Die Werbungen führen meist auf eine Webseite, auf der eine charismatische Person (der Coach) und ein bestimmtes Produkt (z. B. die „Platin-Masterclass“ o.Ä.) bzw. eine bestimmte Methode (z. B. die „100%-Methode“ o.Ä.) vorgestellt werden. Der Coach sei vor Jahren angeblich in derselben Situation wie die Interessenten gewesen und könne nun sein:ihr Wissen im Rahmen des Online-Coachings an Sie weitergeben. Das Online-Coaching wird auf der Webseite nur mit allgemeinen Schlagwörtern beschrieben und durch (falsche) positive Kundenrezensionen oder Medienberichte (meist: bezahlte Anzeigen) beworben.
Anbahnung des Coaching-Vertrags
Wenn Sie ausgehend von einer Werbung Interesse an dem Online-Coaching zeigen und eine Kontaktmöglichkeit (E-Mail-Adresse oder Telefonnummer) angeben, werden Sie von einem:r Mitarbeiter:in („Closer“) des Coaches zu einem kostenlosen Erstgespräch ("Orientation Talk") eingeladen. Dabei wird der Inhalt des Coachings mit nichtssagenden Schlagwörtern beschrieben (Bullshit-Buzzwords „Passives Einkommen“, „Business skalieren“ usw.) und die angebliche Erfolgssicherheit hervorgehoben. Meist versucht der:die Mitarbeiter:in in diesem Gespräch auch herauszufinden, über wieviel Ersparnisse Sie verfügen und wieviel Sie für das Online-Coaching auszugeben bereit sind.
Im Laufe eines solchen Gesprächs (oder eines zweiten Gesprächs) werden Sie typischerweise mit psychischem Druck („Du muss raus aus deiner Comfort-Zone!", „Du musst aus deinem 9-to-5-Alltag ausbrechen!“, „Du musst mehr aus dir machen!“ usw.) dazu gedrängt, sich kostenpflichtig für das Online-Coaching anzumelden. So wird der Vertrag oft gleich während des Video-Calls abgeschlossen. Dabei wird Ihnen beispielsweise der Link zu einem Anmeldeformular geschickt, das Sie noch während des Gesprächs abschicken sollen, wobei über das Kleingedruckte (z. B. den Hinweis auf das gesetzliche Widerrufsrecht) hinweggegangen wird. Oft werden Sie auch mit einer 12-monatigen oder 24-monatigen Ratenzahlung des Gesamtpreises gelockt, wenn Sie den hohen Preis des Online-Coachings nicht auf einmal bezahlen können (teilweise mit der Argumentation, dass Sie bald ein eigenes hohes Einkommen erwirtschaften werden). Dabei wird auch oft die irrtümliche Vorstellung auf Seiten des Coachee provoziert, dass es sich um ein 12-monatiges oder 24-monatiges Abo handle, das man monatlich kündigen könne.
Was wird beim Online-Coaching eigentlich angeboten?
Nach dem Vertragsabschluss stellt sich der Inhalt des Online-Coaching meist als völlig nichtssagend heraus. Typischerweise erhalten Nutzer:innen nach Vertragsabschluss Zugang zu Materialen, die aus allgemein bekannten Weisheiten zusammengestellt wurden und keine werthaltigen Aussagen beinhalten. Das Online-Coaching besteht meistens im Wesentlichen aus:
- Videolektionen (live oder aufgezeichnet),
- PDF-Dokumenten und Arbeitsblättern,
- interaktiven Lernmodulen,
- Gruppen-Calls oder Einzelcoachings,
- geschlossenen Online-Communities.
Diese Inhalte werden meist über eine digitale Plattform bereitgestellt. Die Gruppen-Calls oder Online-Communities entpuppen sich meist als WhatsApp-Gruppen, in denen sich die Teilnehmer:innen des Online-Coachings austauschen können. Das Einzel-Coaching besteht in der Möglichkeit, eine:n Mitarbeiter:in des Online-Coaches anrufen zu können.
Verbrauchergeschäft oder nicht?
Viele Coaching-Teilnehmer wollen, nachdem Sie die Wertlosigkeit des Online-Coachings erkannt haben, Ihre Anmeldung für das Online-Coaching widerrufen („Kann ich einen Vertrag über Dienstleistungen widerrufen?“). Anbieter des Online-Coaching erwidern auf einen erklärten Widerruf gerne, dass es sich bei dem abgeschlossenen Online-Coaching-Vertrag um einen Vertrag zwischen zwei Unternehmern (B2B-Geschäft) handle und deshalb kein gesetzliches Widerrufsrecht bestehe. Dies ist aber in den meisten Fällen nicht richtig.
Bei der Frage, ob es sich bei einem Vertrag um ein Verbrauchergeschäft handelt, kommt es nämlich maßgeblich auf die dem Vertragspartner erkennbaren Umstände des Geschäfts an (1 Ob 115/12m). Die Online-Coaching-Anbieter erkennen in den meisten Fällen, dass der berufliche bzw. gewerbliche Zweck des Online-Coachings beim Coachee eine völlig untergeordnete Rolle spielt und der Coachee vielmehr Verbraucher:in als angehende Unternehmer:in ist. Das Online-Coaching stellt sich im Ergebnis als einfache Schulung für eine Privatperson, und nicht als Vorbereitung einer selbständigen beruflichen Tätigkeit dar. Dementsprechend handelt es sich beim Online-Coaching meist um Verbrauchergeschäft (B2C-Vertrag), für das ein zwingendes gesetzliches Widerrufsrecht besteht. Im Übrigen zählen Verträge zur Vorbereitung einer selbständigen unternehmerischen Tätigkeit nach § 1 Abs 3 Konsumentenschutzgesetz (KSchG) ohnehin nicht als B2B-Vertrag und unterliegen dem Konsumentenschutzrecht, inkl. dem gesetzlichen Widerrufsrecht.
Kann das Widerrufsrecht erlöschen?
Nach österreichischem Verbraucherrecht besteht bei online geschlossenen Verträgen ein gesetzliches Widerrufsrecht. Dieses Widerrufsrecht ist bei digitalen Inhalten und digitalen Dienstleistungen unterschiedlich ausgestaltet. Während bei Verträgen über digitale Inhalte das Widerrufsrecht gleich nach Vertragsabschluss erlöschen kann, ist das bei Verträgen über digitale Dienstleistungen nicht möglich. Anbieter des Online-Coachings stellen den Vertrag meist fälschlicherweise als einen Vertrag über digitale Inhalte dar und behaupten unrichtigerweise, dass bei Vertragsabschluss auf das Widerrufsrecht verzichtet worden sei. Tatsächlich erfüllen Online-Coachings in der Regel die Kriterien digitaler Dienstleistungen, da sie:
- zeitlich gestreckt erbracht werden (z. B. über Wochen oder Monate),
- interaktive Elemente enthalten (z. B. Feedback, Q&A-Sessions),
- nicht lokal gespeichert, sondern über Plattformen genutzt werden,
- eine Betreuung oder Lernerfolgskontrolle beinhalten.
Dementsprechend gilt für Online-Coachings das Widerrufsrecht für Verträge über Dienstleistungen („Kann ich einen Vertrag über Dienstleistungen widerrufen?“), das eben nicht sofort im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses erlöschen kann (der vermeintliche „Verzicht“ auf das Widerrufsrecht“). Anbieter von Online-Coachings dürfen also nicht behaupten, dass Teilnehmer:innen mit dem Anhaken einer Checkbox ihr Widerrufsrecht verlieren (vgl. Urteil des Handelgerichts Wien vom 04.09.2025; Klage des Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. (VZBV) gegen Copecart zu 5 UKl 4/25 (vormals 52 O 193/24) beim Landgericht Berlin und Klage des Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. (VZBV) gegen Digistore24 zu 11 O 5/25 beim Landgericht Hildesheim)
Bei digitalen Dienstleistungen besteht grundsätzlich ein 14-tägiges Widerrufsrecht. Dieses Recht erlischt nicht mit der Bereitstellung von Inhalten, sondern kann nur dann erlöschen, wenn die sofortige Erbringung der Dienstleistung verlangt wurde und die Dienstleistung vollständig erbracht wurde („Habe ich beim Kauf eines digitalen Produkts ein Widerrufsrecht?“). Außerdem muss bei Vertragsabschluss korrekt über das Widerrufsrecht für Dienstleistungen informiert werden; ansonsten verlängert sich nicht nur die Widerrufsfrist um bis zu 12 Monate, sondern besteht nicht einmal eine Pflicht bereits konsumierte Dienstleistungen zu bezahlen (§ 16 Abs 2 Fern- und Auswärtsgeschäfte-Gesetz - FAGG).
Laesio enormis: Coaching-Inhalte oft ohne Marktwert
Ein weiterer rechtlicher Angriffspunkt ist die „Verkürzung über die Hälfte“ nach § 934 Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) – die sogenannte "laesio enormis". Dieses Rechtsinstitut erlaubt die Anfechtung eines Vertrags, wenn der Wert der gekauften Leistung weniger als die Hälfte des Gegenwerts beträgt. Im Fall eines Online-Coachings würde sich der Marktwert wohl am besten über den Ertragswert des Online-Coachings bestimmen lassen, d. h. anhand dessen, mit welchem Ertrag auf Basis der im Online-Coaching erlernten Kenntnisse zu rechnen ist.
Auf Basis dieser Überlegungen wird man oft feststellen, dass die als „Online-Coaching“ verkauften allgemeine Motivationsvideos oder generischen Business-Tipps keinen nennenswerten Marktwert haben. Die Teilnahme an einem Online-Coaching ist auch nicht mit einer Ausbildung und Einweihung zum Reiki-Meister vergleichbar, denen der Oberste Gerichtshof einen Wert der besonderen Vorliebe (§ 935 ABGB) zuerkannte (6 Ob 187/99i). Mit anderen Worten können Verträge über substanzlose Online-Coachings zu Tausenden Euros vielfach wegen einer“ Verkürzung über die Hälfte“ angefochten werden. Dies bedeutet: Wenn ein Coaching-Programm um 5.000 Euro gekauft wurde, dieses Online-Coaching aber objektiv weniger als 2.500 Euro wert ist, kann der Vertrag gerichtlich angefochten und für nichtig erklärt werden.
Online-Coaching ist Fernunterricht im Sinne des FernUSG
Wenn der Online-Coaching-Vertrag deutschem Recht unterliegt, ist das deutsche Fernunterrrichtsschutzgesetz (FernUSG) zu beachten. Das Fernunterrichtsschutzgesetz ist ein deutsches Verbraucherschutzgesetz von 1977, das bestimmte Regelungen für Verträge über „Fernunterricht“ vorsieht. Online-Coaching gilt in vielen Fällen als sogenannter „Fernunterricht“, weil Kenntnisse und Fähigkeiten über eine räumliche Trennung zwischen Lehrendem und Lernenden vermittelt werden und eine gewisse Art der Lernzielkontrolle stattfindet. Wenn ein Fernunterricht in Online-Meetings stattfindet, liegt eine für die Anwendung des FernUSG erforderliche räumliche Trennung zwischen Lehrendem und Lernendem vor. Auch die Anforderungen an eine Lernzielkontrolle sind niedrig: Es genügt bereits, wenn Teilnehmer:innen Fragen stellen können, Feedback erhalten oder in ihrer Entwicklung begleitet werden. Eine einzige Rückmeldung reicht aus, um das Kriterium der Lernzielkontrolle zu erfüllen.
Nach dem Fernunterrichtsschutzgesetz dürfen Fernlehrgänge nur dann angeboten werden, wenn sie über eine entsprechende Zulassung verfügen (siehe "Umweltbundesamt untersagt irreführende Online-Coaching-Angebote"). Die Zulassung eines Fernlehrgangs kann auf der Webseite der Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU) überprüft werden. Fehlt die behördliche Zulassung durch die Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU), sind die Verträge über diesen Fernunterricht nichtig (§ 7 Abs 1 FernUSG). Da die meisten Online-Coachings die Kriterien eines „Fernunterrichts“ erfüllen, aber nicht nach dem FernUSG zugelassen wurden, werden die Verträge über das Online-Coaching regelmäßig von Gerichten für nichtig erklärt, womit die Coaching-Teilnehmer im Ergebnis das bezahlte Geld zurückverlangen können. Auch Selbstständige oder Gründer:innen können sich auf das FernUSG berufen, wenn sie ein Online-Coaching gebucht haben (BGH Urteil vom 12.06.2025, Az. III ZR 109/24 und wichtige Information auf der Webseite der Staatlichen Zentralstelle für Fernunterricht).
Ob deutsches Recht – und damit das Fernunterrichtsschutzgesetz – anwendbar – ist, muss im Einzelfall geprüft werden. Oft wurde in den AGB der Online-Coaching-Verträge die Anwendung des deutschen Rechts bestimmt. Wenn sich in den AGB keine Bestimmung zum anwendbaren Recht findet, richtet sich das anwendbare Recht nach Art 4 Abs 2 „Rom I“ – Verordnung nach dem Sitz des Coaching-Anbieters bzw. nach Art 6 Abs 1 „Rom I“ – Verordnung dem Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dies ist der Grund, weshalb Coaching-Anbieter in letzter Zeit einen Sitz in Dubai (VAE) angeben, wobei geprüft werden müsste, ob diese Sitzverlegung der Wahrheit entspricht.
Fazit: Online-Coaching Vertrag oft nichtig
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass viele Online-Coaching-Verträge von Vorneherein nichtig sind, widerrufen oder gerichtlich angefochten werden können:
- Online-Coaching-Verträge können oft widerrufen werden, auch wenn der Coaching-Anbieter das Gegenteil (B2B-Vertrag oder Verzicht auf Widerrufsrecht) behaupten sollte. Mit dem Widerruf wird der Vertrag aufgelöst und muss nichts bezahlt werden. Wenn nicht richtig über das Widerrufsrecht informiert wurde, kann auch noch ein Jahr später der Widerruf erklärt werden.
- Substanzlose Online-Coaching-Verträge können wegen „Verkürzung über die Hälfte“ gerichtlich angefochten und für nichtig erklärt werden, wenn der Kaufpreis über dem Doppelten des Marktwerts bzw. Ertragswerts des Online-Coachings liegt.
- Wenn das Online-Coaching deutschem Recht unterliegt und keine Zulassung als Fernlehrgang nach dem Fernunterrichtsschutzgesetz hat, ist der Vertrag nichtig und muss nichts bezahlt werden.
Oft geht es unserer Erfahrung nach um die Frage, ob weitere Raten bezahlt werden müssen. Wenn Sie Ihr Vertrag von Vorherein nichtig war, Sie den Vertrag mittels Widerrufs aufgelöst haben oder der Vertrag gerichtlich angefochten werden kann, sollten Sie keine weiteren Ratenzahlungen leisten und auch auf keine Kompromisslösungen einsteigen. Auch wenn Sie daraufhin mit Inkassoschreiben und Klagedrohungen konfrontiert werden, sollten Sie auf Ihren Rechtsstandpunkt beharren.